Lünen: Drei Geistliche und ein Jurist bildeten das Forum, das unter der Moderation des Lüner Gemeindevorstehers, Evangelist Jörg Lohrmann, durch einen Gesprächsabend führte, der es in sich hatte: "Was macht aus einem Menschen einen "bösen Menschen"?", so lautete die Einstiegsfrage.
Weitere Fragestellungen des Abends lauteten "Was kann man dagegen tun?" und schließlich "Gibt es eine Pille gegen das Böse?"
Bereits zum siebten Mal hatte die Gemeinde Lünen zu einem "Gespräch im Foyer" eingeladen. Die Gesprächsreihe wurde mit der Einweihung der neuen Lüner Kirche an der Bebelstraße eingeführt und erfreute sich seitdem großer Beliebtheit.
Kompetente Expertenrunde
Seinen besonderen Reiz fand das Gespräch an diesem Abend durch die Auswahl der Gesprächsteilnehmer. Pfarrer Clemens Kreiss aus der katholischen Pfarrgemeinde St. Marien in Lünen brachte seine Gedanken zu dem Thema aus Blickrichtung der Moraltheologie ein. Pfarrerin Anke Thimm, evangelische Seelsorgerin in der Wilfried-Rasch-Klinik, Klinik für Forensische Psychiatrie des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) in Dortmund-Aplerbeck trug interessante Aspekte aus ihrem Seelsorgeauftrag an psychisch kranken Rechtsbrechern bei.
Bischof Manfred Bruns, ehemals Kriminaldirektor bei der Polizei NRW, heute Leiter des Referats Seelsorge im Bereich der Kirchenleitung der Neuapostolischen Kirche Nordrhein-Westfalen und auch zuständig für das Seelsorgeangebot in Justizvollzugsanstalten, legte den Schwerpunkt in dieser Gesprächsrunde auf Positionen des Evangeliums und der daraus resultierenden Seelsorge.
Schließlich nahm der Lüner Seelsorger, Priester Gunnar Herrmann, an dem Podiumsgespräch teil. Als Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm sorgte er allerdings an diesem Abend für den Blick des Juristen als Ankläger auf die spannende Thematik.
Fragen über Fragen
Alle drei Fragekomplexe wurden jeweils von kurzen Videotrailern eingeleitet, die Jörg Lohrmann den Experten und den gut dreißig interessierten Teilnehmern im Publikum zeigte, quasi als Einstimmung auf das Gespräch.
Was macht aus einem Menschen einen "bösen Menschen", oder was ist das Böse überhaupt? Kann man das Böse, wenn es denn in einem Menschen ist, erkennen? Gibt es eine Fratze des Bösen? Fragen über Fragen, die Jörg Lohrmann an die Experten stellte.
Gut oder böse, richtig oder falsch
Gleich zu Beginn wusste Gunnar Herrmann mit der Aussage zu überraschen, dass es das Böse als einen juristischen Begriff gar nicht gebe. Es gehe um Verletzung von Schutzgütern, so der Jurist. Diese seien jeweils vom Gesetzgeber beschrieben und stellten die schutzbedürftigen Werte einer Gesellschaftsordnung dar. Dem Juristen gehe es um die Kategorien "richtig oder falsch" und nicht "gut oder böse".
Pfarrer Kreiss pflichtete diesem Gedanken bei. Auch die Moraltheologie kenne den Begriff des Bösen nicht. Moraltheologie ist eine Disziplin der katholischen Theologie. Sie beschäftigt sich mit dem sittlichen Verhalten des Menschen und seinem Handeln angesichts der in der Bibel manifestierten Heilsordnung.
Wenn man denn dann schon vom Bösen sprechen wolle, so Kreiss, könne man nicht sagen, dass Menschen böse sind, sondern dass sie böse handeln, etwas Böses tun, so ergänzte er.
Der Sündenfall
Nach dieser Einschätzung des Juristen blieb doch die Frage offen: "Was ist denn dann das Böse, von dem wir stets sprechen?" Und die einhellige Antwort: "Böses ist etwas, das sich gegen das Leben richtet." Bischof Bruns brachte den biblisch berichteten Sündenfall als Ursprung des Bösen, der Sünde, ins Gespräch. Und Pfarrerin Thimm fasste den Gedanken so zusammen: "Das Böse ist unser moralisch-ethisches Dilemma, das aus dem Sündenfall herrührt."
Obwohl jeder Mensch in der Lage sei, zwischen gut und böse zu unterscheiden, stecke doch auch in jedem Menschen von Jugend auf das Bedürfnis und die Neigung, gegen Normen zu verstoßen.
Allerdings, so reflektierte Anke Thimm ihre seelsorgerische Arbeit in der Wilfried-Rasche-Klinik, seien nicht alle Straftäter in der Lage, diese Unterschiede zu machen oder sich nach solcher Erkenntnis entsprechend zu verhalten.
Forensische Psychiatrie
Die forensische Psychiatrie befasst sich genau mit diesem Phänomen: der Schuldfähigkeit von Straftätern einerseits und der Einschätzung ihrer Gefährlichkeitsgrade andererseits und kümmere sich um deren Behandlung. Das sei zwar nicht ihr Thema als Pfarrerin, doch berühre das ihre seelsorgerische Tätigkeit. Die Differenzierung von Schuld und Sünde vor Gott gelte in dieser Hinsicht auch vor der Gerichtsbarkeit von freiheitlichen Gesellschaftsordnungen, wie sie hierzulande herrschen.
Viel wichtiger aber sei ihr in ihrer Arbeit, dass auch Straftäter eine Menschenwürde hätten, und Seelsorge sich auch ihnen vorurteilsfrei zuwende. Bischof Bruns erinnerte in dem Zusammenhang an den Schächer am Kreuz, dem Christus ohne Frage nach seiner Schuld nur wegen der Bitte um Zuwendung eine grandiose Zukunft versprochen hatte.
Kann man das Böse wegsperren?
Die Antworten auf die Frage nach den Wirkungen des Strafvollzugs fielen eher ernüchternd aus. Dass Menschen während der Unterbringung in Haftanstalten "bessere Menschen" würden, wollte niemand so recht bejahen. Und dass Freiheit auch ein Menschenrecht ist und zur Würde eines Menschen zählt, machte die Betrachtung der Problematik nicht einfacher. Auch Menschen in forensischen Fachkliniken seien ihrer Freiheit beraubt, so Pfarrerin Thimm. Die Klinik trage den Titel "Fachklinik für Therapie und Sicherheit", wobei Therapie sich auf die Patienten und Sicherheit sich auf die Umgebung beziehe.
Selbst bei positiver Persönlichkeitsentwicklung der forensischen Patienten und bei Gewährung von wohl bemessenen Erleichterungen im Vollzug bis hin zum Wohnen in Wohngruppen blieben sie immer Patienten der Klinik, so Anke Thimm. Das sei mit dem Recht auf Freiheit nur schwer vereinbar, wie sie meinte, aber doch auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit.
Das Publikum erfuhr noch aus einem Bericht von Pfarrer Kreiss aus eigener Kenntnis, dass es in Südkorea, jenem doch westlich orientierten Land, eine sehr geringe Kriminalitätsrate gebe, aber eben auf Kosten von Freiheit. "Sie können dort nicht zwanzig Meter gehen, ohne nicht von einer Überwachungskamera beobachtet zu werden", so Pfarrer Kreiss. Da komme der Freiheitsentzug schon vor der Straftat und verhindere sie. "Welch ein Preis", gab er zu bedenken.
Und auf die oft im Raum stehende Frage nach der Angst vor den Insassen von Gefängnissen und auch und vor allem von forensischen Kliniken, wusste er knapp zu antworten: "Wir müssen keinen Angst vor denen haben, die wir weggesperrt haben, sondern vor denen, die wir noch nicht weggesperrt haben."
Schlussbemerkungen
In ihren abschließenden Erklärungen gaben die Experten noch ganz interessante Gedanken zum Besten: Pfarrer Clemens Kreiss äußerte sich angenehm angerührt von der Anzahl der anwesenden Zuhörer. Dass sich dreißig Personen an einem Freitagabend für solch ein schwieriges Thema interessieren, fand er sehr beachtlich. Pfarrerin Anke Thimm bot an, interessierte Teilnehmer zu einem Besuch in der forensischen Kliniik in Dortmund-Aplerbeck einzuladen.
Oberstaatsanwalt Gunnar Herrman wendete sich noch einmal mit einem christlichen Appell an das Publikum: Kein Christ, der sich selbst als Christ ernst nehme, könne verweigern, dass in seiner Nachbarschaft eine forensische Einrichtung, ob Klinik oder Wohngemeinschaft, entstehe. "Das müssen wir als Christen aushalten", markierte er eine klare Position.
Bischof Bruns setzte den Schlusspunkt mit der Frage: "Wie viel Böses steckt denn in dir?" Dabei erinnerte er an die christliche Grundaussage, dass keine Sünde so groß sei, dass sie nicht vergeben werden könne, und keine Sünde so klein sei, dass sie nicht vergeben werden müsse.
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