Lünen. „Sie nehmen mir Ehre, Weib und Kind“ hatte der Historiker Dr. Karl-Peter Krauss seinen Vortrag am Freitag, den 29. Juni 2018, im Foyer der Lünener Kirche genannt, der einen Einblick in die Schicksale neuapostolischer Christen jüdischer Herkunft zur NS-Zeit vermittelte.
Etwa 50 hoch interessierte Zuhörer hatten sich dazu am Freitagabend in der Lüner Kirche an der Bebelstraße eingefunden. Bereits zum neunten Mal fand an einem Freitagabend eine Veranstaltung der Reihe „Gespräch im Foyer“ in Lünen statt.
Diese neunte sollte die erste sein, in der man weniger ins Gespräch komme als mehr zuhöre, so Evangelist Jörg Lohrmann, Lüner Gemeindevorsteher, in seiner Begrüßung. In einem rund einstündigen Vortrag werde der Referent anhand einer Bildschirmpräsentation die bewegenden Lebensläufe dreier Glaubensbrüder jüdischer Herkunft beschreiben, die in der NS-Zeit auf verschlungenen Wegen unterschiedlich endeten. Allerdings sei zum Ende seines Vortrags Platz für Fragen und Anmerkungen.
Drei Schicksale stehen für das Leid einer ganzen Generation
Der Termin für dieses neunte „Gespräch im Foyer“ war nicht von ungefähr auf einen Freitag vor einem Gottesdienst für Entschlafene gelegt worden. Beispielhaft sollten die drei Schicksale den Blick weiten auf unzählige ähnlich verlaufende Lebensstraßen, die den Referenten veranlassten, seinem Vortrag den Titel „Sie nehmen mir Ehre, Weib und Kind“ zu geben. In seinem Gebet zu Beginn der Veranstaltung griff Evangelist Lohrmann diesen Gedanken mit auf.
Die Wahl auf Lünen im Bezirk Dortmund als Vortragsort hatte ebenfalls einen Grund: Harry Fränkel und Ernst Kaufmann, über deren Schicksale der Historiker beispielhaft sprechen wollte, stammen aus dem Bezirk Dortmund. Harry Fränkel diente bis 1933 als Priester in der Gemeinde Dortmund-Nord. Zu diesem Zeitpunkt gab er sein Amt zurück. Er wollte möglichen Schaden wegen seiner jüdischen Herkunft von der Gemeinde abwenden. Ernst Kaufmann wurde zeitweise von Glaubensgeschwistern aus Lünen vor der Gestapo versteckt.
Der dritte Lebenslauf ist der von Simon Peritz, einem Glaubensbruder jüdischer Herkunft aus dem süddeutschen Raum.
Ubi caritas et amor, Deus ibi est
Dr. Krauss eröffnete seinen Vortrag mit dem lateinischen Spruch „Ubi caritas et amor, Deus ibi est“, der übersetzt bedeutet: „Wo Güte ist und Liebe, da wohnt Gott.“ Genau diese Haltung habe unzählig viele Glaubensgeschwister in den Gemeinden und im Wohnumfeld der drei Glaubensbrüder umtrieben, mutig und unter der Gefahr für Leib und Leben, still und heimlich, jüdisch-stämmige Gemeindemitglieder zu verstecken und vor dem Zugriff der Verfolger zu schützen.
Neben den detailliert und auf gründlicher Quellenforschung basierenden Darlegungen der Lebens- und Leidenswege der drei Glaubensbrüder hat Dr. Krauss auch den herausragenden Einsatz dieser helfenden Gemeindemitglieder hervorgehoben.
Verborgene Heldinnen und Helden
In einer wohltuenden Sachlichkeit beschreib er die verschlungenen Wege von Fränkel, Kaufmann und Peritz und ließ keinen Zweifel daran, dass es eine sehr ausgeklügelte und auf nicht zu erwartendes Vertrauen aufbauende Helferstruktur gegeben haben müsse, ohne die die Verfolgten ihren Häschern nicht hätten entkommen können. Verborgene Heldinnen und Helden nannte er solche, die diese selbstlose und lebensgefährliche Nächstenliebe aufgebracht haben.
Während seiner Quellenforschungen ist der Historiker in den Besitz von aussagekräftigen Originaldokumenten gelangt, die die Wege der drei Glaubensbrüder nachzeichnen ließen. Harry Fränkel, Jahrgang 1882, vielen neuapostolischen Christen wegen seines Textes zum Lied „Ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort wo du stehst ist heilig“ bekannt, endete tragisch im November 1942 in Auschwitz.
Ernst Kaufmann, Jahrgang 1876, hat sich hindurch retten können und verbrachte bis zu seinem Tod im Jahr 1955 seine Lebenstage in Lünen.
Wenn ich zurückkomme, bringe ich dir Schokolade mit
Von Simon Peritz (1884-1972) berichtete Dr. Krauss, dass er bei seinem Weggang ins Niemandsland - es durfte niemand wissen, wohin er sich begeben würde - seinem Enkel versprach: „Wenn ich zurückkomme, bringe ich dir Schokolade mit.“ Nach einer Odyssee durch halb Europa sei ihm dann schließlich doch die Heimkehr gelungen. Und kurz bevor er in die heimatliche Straße einbog, sei ihm sein Versprechen wieder in den Sinn gekommen.
Es schien aussichtslos, das zu erfüllen. Doch es kam anders: Ein Soldat der Besatzungsmächte, der ihm begegnete und sein Elend sah, gab ihm von seiner Essensration ab, dabei auch eine Tafel Schokolade.
Rolle der Kirche in der NS-Zeit
Der Historiker Dr. Karl-Peter Krauss betreibt seit einiger Zeit Quellenforschung über die Rolle der Neuapostolischen Kirche in der NS-Zeit. Im Zuge seiner Forschungen hat er auch einige Schicksale neuapostolischer Christen jüdischer Herkunft recherchiert. Dabei geht es ihm nicht nur um eine Würdigung dieser Personen selbst, sondern auch um die Frage, welche Rolle die Kirche im Umgang mit den Glaubensgeschwistern jüdischer Herkunft gespielt hat.
Dr. Krauss hofft nach seinem Vortrag auf Berichte und Fotos von Zeitzeugen, die sich noch an die beiden Männer erinnern können.
Der Referent
Dr. Krauss ist beruflich tätig am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, einer seit 1987 dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg unmittelbar nachgeordneten außeruniversitären Forschungseinrichtung. In der Neuapostolischen Kirche ist er seit 2014 Mitglied in der AG Geschichte der NAK unter der Leitung von Apostel Dirk Schulz (Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland) und als Gemeindevorsteher einer Gemeinde im Kirchenbezirk Reutlingen (Neuapostolische Kirche Süddeutschland) tätig.
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